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"Manfred Unterwegers Werke strahlen eine unverhohlene Kraft und Präsenz aus. Er weckt mit seinen Werken unsere Neugierde. Er hinterfragt, wühlt auf, lässt uns grübeln, innehalten. Unterwegers Konzeptkunst ist politisch, sozialkritisch, kurz: substanziell.

In den letzten Jahren ist Unterweger stark auf der ganz eigenen, aufrüttelnden, für den Betrachter nicht immer leicht zu verdauenden Schiene der gesellschaftskritischen Konzeptkunst gefahren. Werke wie zum Beispiel die Serie Business as Usual (2009‒2013) hatten Menschenrechts-verletzungen in der Volksrepublik China zum Thema. Ein anderes Hauptthema war der weltweite Umgang mit der Todesstrafe. Über Jahre hinweg hat sich der Künstler intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt. Symbolhaft für diese Thematik steht hier der Smith & Wesson Revolver. In einer Variante zeigt Unterweger brillant und unmissverständlich, zu welchem Zweck Waffen geschaffen werden: zum Töten. Der Revolver ist aus Asche gearbeitet und auf Kohlenstaub montiert. Ashes to ashes, dust to dust. In Killing Lies bilden auseinandergerissene Fragmente chinesischer Zeitungen denselben Waffentyp. Der Revolver ist im Profil abgebildet und somit nicht auf uns gerichtet. Eine unmittelbare Gefahr für Leib und Seele gibt es hier nicht. Und doch geht eine Bedrohung von der stilisierten Schusswaffe aus, die brutal und nahbar und doch auf ganz subtile Art und Weise auf Verbrechen und Gewalt aufmerksam machen will. In diesem Fall verweist der Künstler auf die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die staatlich gelenkte Medienlandschaft in China. Die Abbildung des Revolvers taucht in verschiedenen Ver- und Abwandlungen auf: Aus Gummibärchen gebildet, symbo-lisiert Unterweger die übertriebene Waffenliebe der Nordamerikaner, die so nah mit Hollywood, Glamour und Schein im Land der Superlative einhergeht.

In seinen neuesten Werken, hauptsächlich Objekte und Installationen, sieht sich der Künstler von Dada und Fluxus inspiriert. Der international agierende Allroundkünstler mit Sitz in Stuttgart erweitert diese jedoch noch um ein weiteres Level. Während Unterweger massenproduzierte, gewöhnliche Objekte wie Besen, Teller oder Pinsel in spannender Weise mit anderen herkömmlichen und unspektakulären Dingen kombiniert, wird ‒ wie bei Marcel Duchamps, dem Meister der Readymades ‒ kräftig parodiert und mit Übertreibung gearbeitet. (…)“

(Text von Alix Sharma-Weigold M.A.)



*Künstliche Alterungsprozesse, unscheinbare, so genannte 'arme Materialien', umwelt- und sozialpolitisch relevante Themen wie die Zerstörung unserer Umwelt, den sorglosen Umgang mit unseren Ressourcen und Menschenrechts-verletzungen charakterisieren Manfred Unterwegers Werk. Das verwendete Ausgangsmaterial hat dabei entweder seine besten Tage schon lange hinter sich oder unterliegt durch die Bearbeitung einem künstlichen Alterungsprozeß. Was andere achtlos wegwerfen würden, erfährt durch Manfred Unterweger eine ungewöhnliche Metamorphose. Die ver- und bearbeiteten Materialien werden so zu mehrdeutigen Ruinen des Gegenständlichen. Genau in diesen zerstörten Relikten aus der Alltagswelt findet Unterweger die Quelle seiner gesellschaftspolitischen Kritik. Subtil sind die Werkstoffe aufeinander abgestimmt; das scheinbar Unscheinbare und Unwerte wird zu Rarität. Das verleiht den Bildern eine auch malerisch interessante Oberfläche, deren körnige Struktur im Licht changiert und zugleich reliefartig den Raum besetzt. Auf Farbigkeit wird weitgehend verzichtet. Das ergibt sich schon aus dem Material, das sich auf schwarze und graue, manchmal auch erdige Töne und fahles Gelb beschränkt. Alle zusammen entwickeln sie eine überraschende Vielfalt an Abtönungen, die auch ohne größere Farbigkeit malerisch wirkt. Seine sorgsam komponierten Materialbilder, Installationen und Objekte sind Ausdruck einer kritischen Betrachtung der Wegwerfgesellschaft, sozialpolitisch relevanter Themen und unerschöpflicher Experimentierfreude."
(Text: G Z/Zero Arts e.V., Stuttgart)

"In stiller Wucht
...Es gibt in dieser Ausstellung ein zentrales Werk, vor dem die meisten der vielen Besucher lange und sichtlich betroffen standen, lesend, schweigend. Mit seinen „Last Statements From The Death Row“ protestiert Manfred Unterweger in stiller Wucht gegen eine barbarische Altlast der Zivilisation: die Todesstrafe. Auf einem Gitter von elektrisch verbundenen Drähten hat er in 32 transparenten Blättern die letzten Worte von amerikanischen Todes-kandidaten dokumentiert. Das sind erschütternde Testamente von reuigen Mördern, gefassten und geläuterten Todgeweihten oder leise wie verzweifelt schrille Schreie nach Recht und Gerechtigkeit von vielleicht Unschuldigen.

Kaum weniger bedrückend sind Unterwegers Arbeiten über China, wo die tagtäglichen Hinrichtungen per Genickschuss Abschreckung und Volksspektakel zugleich sein sollen. „Brot und Spiele“ heißt eine Collage im Zusammenhang mit Olympia. Einen anderen Atavismus prangert der Künstler eher leichthändig an. Die infantil anmutende amerikanische Vernarrtheit in Waffen führt er mit einem Revolver vor, der aus lauter bunten Gummibärchen zusammengesetzt ist."

(Text: Martin Bernklau, Stuttgarter Zeitung)

 

 

"...Was hilft gegen Fluglärm? Manfred Unterweger weiß es. Er hat den Krach aus der Luft zu einem gefiederten Lautsprecher verdinglicht und das Objekt in einen Vogelkäfig gesperrt. Im Stuttgarter Kunstverein präsentiert sich der Allroundkreative als ironischer Alchemist. Ob er nun die Energieumwandlung in Farbe versucht, indem er mit Farbe befüllte medizinische Versorgungsschläuche aus Steckdosen heraushängen lässt, oder Gerechtigkeit in Dosen füllt. 'Justice' steht auf den blutroten Konserven. Doch auch das Kleingedruckte sollte man lesen: eine Liste der US-Bundesstatten, in denen es noch die Todesstrafe gibt. (...)"

(Georg Leisten, Stuttgarter Zeitung)

"Manfred Unterweger will mit seiner Kunst Sozialpolitisches ansprechen. Der Humor kommt in der Ausstellung „Für ein Fräulein mit güldenem Haar“ aber auch nicht zu kurz.

„Kunst und vor allem die Künstler nehmen sich gerne mal ein wenig zu ernst“, beschreibt Manfred Unterweger die humoristische Seite seiner Kunst und seiner Ausstellung. Seit seinem 25. Lebensjahr ist er künstlerisch tätig. „Seit Anfang der 90er Jahre permanent. Entsprechend ist er mit seiner Kunst auch schon herumgekommen. Nun im Zero-Arts hat er eine Art Heimspiel. Schließlich war er 2006 eines der Gründungsmitglieder im Verein: „Im Stuttgarter Osten haben wir da durchaus eine kleine Kulturoase geschaffen“, so Unterweger, den vor allem die Lebendigkeit in der kleinen Location begeistert. „Hier gibt es bei den Vernissagen einen regen Austausch und es kommen viele Künstler aus ganz Stuttgart – es wird sich nicht nur am Sektglas festgehalten“, sagt Unterweger. Er selbst hat 1995 die künstlerische Anerkennung vom Verband bildender Künstler Baden-Württemberg erhalten und seither zunächst in Stuttgart, später auch international viel ausgestellt. Vor 

 

 

 

allem ein Stipendium für die internationalen Biennale für zeitgenössische Kunst in Shiryaevo/Samara in Russland 2009 hat ihn als Künstler geprägt. „Einen Monat lang sind die Objekte direkt vor Ort entstanden“, so Unteweger. Gelebt wurde bei Familien im Dorf, jeder Künstler konnte sich eine Lokalität für seine Objekte aussuchen. „Eine sehr spannenden Erfahrung“, so Unterweger, die sich auch auf seinen weiteren Werdegang ausgewirkt hat.

Bei Zero Arts zeigt er nun einen Auszug aus seinen Objekten. Zu den auffälligsten gehört wohl die Krücke mit Boxhandschuh. „They never come back“ mahnt der Titel, große Siege, große Niederlagen und irgendwann doch kein Comeback mehr - Sport und Verletzlichkeit, Gewalt und Genesung, Brutalität und Hilfe gehen eine Einheit ein. Aber dieser Kreislauf währt nicht ewig. Übrig bleibt irgendwann die Krücke mit Boxhandschuh. Irgendwie traurig aber auch eine irritierende, komische Seite – die Krücke vereint mit dem Boxhandschuh. Ähnlich ist es auch bei „Extended“. Ein handelsüblicher Pinsel geht über in langes Haar."

(Thomas Miedaner, Stuttgarter Wochenblatt)

„Der Revolver und all die Hingerichteten

Der Künstler Manfred Unterweger ist nicht nur mit seinen „Shots“ immer politischer geworden. Neben der Todesstrafe thematisiert er in seiner Kunst auch den amerikanischen Waffen-Fetischismus.

Als Manfred Unterweger vor ein paar Monaten mit seinen Künstlerfreunden Klaus-Dieter Jaensch und Marcelino Varas die Themenausstellung „Altlast“ in der Kunst am Kelterberg vorstellte, da hätten Besucher meinen können, er habe immer schon so schockierende politische Kunst gemacht. Seine Arbeit „Last Statements“ über die letzten Worte amerikanischer Todeskandidaten vor ihrer Hinrichtung war in ihrer dokumentarischen Schlichtheit von solch aufwühlender, aufrüttelnder und anklagender Wucht, dass die Erschütterung sich auch in Tränen ausdrückte. So etwas kann gute Konzeptkunst, als visuell umgesetzte Idee.

 

Neben dieser Installation gegen die Todesstrafe - 32 Textfahnen an Drähten eines elektrischen Weidezauns – ging es ihm in weiteren Serien von Fotos und Objekten auch um die „zivilisatorische Altlast der Todesstrafe“ in China und um den amerikanischen Waffen-Fetischismus. Manfred „Undi“ Unterweger hat sich dieses Themas angenommen mit seiner Serie „Shots“, in der die Silhouette eines Smith & Wesson-Revolvers, Kaliber 45, das Leitmotiv bildet. Bei einer Version bestand die Waffe aus 200 Gummibärchen.

 

Überall in seinem Atelier am Kelterberg, das er 2009 bezogen hat, stehen übrigens auch diese roten Dosen, die an Coca-Cola erinnern. Nur dass der jugendstilig verspielte Schriftzug der weltweiten Ami-Brause bei Unterweger „Justice“ heißt und Gerechtigkeit fordert. Im Kleingedruckten sind alle US-Staaten verewigt, die an der Todesstrafe festhalten. (…)“

(Martin Bernklau/Stuttgarter Zeitung)

„Die Ausstellung trägt den Titel M_TERI_LISMUS und genau so vielschichtig wie der Titel ist Manfred Unterwegers Kunst. Wir können uns dieser ganz einfach wie der Titel empfiehlt über die Materialität nähern, die Arbeiten ganz direkt in ihrer Materialität sinnlich erfassen, uns von ihrer direkten materiellen Wirkung gefangen nehmen lassen. Dabei kommt uns dann sehr schnell die Ironie, der Humor, der in den Arbeiten steckt, in die Quere. Die inhaltliche Seite der Kunst tritt in den Vordergrund. Wenn wir Kunst betrachten, machen wir immer beides, wir lassen die Arbeiten direkt auf uns wirken und wir wollen wissen, was uns der Künstler oder die Künstlerin zu sagen hat, treten, wenn es gut läuft, über das Medium Kunst in einen indirekten Kommunikationsprozess ein, in unserem Fall mit Manfred Unterweger.

 

Seine Kunst wirkt einerseits ganz direkt und andererseits gibt er uns mit den Titeln viele Hinweise darauf, was er uns zu sagen hat. Das beginnt bereits beim Ausstellungstitel. M_TERI_LISMUS ist ein Lückentext, d.h. eine Aufforderung, den Titel selbst mit Eigenem zu ergänzen, Eigenes in den Dialog mit der Kunst einzubringen. Wobei das hier nie beliebig wird, klar bleibt, dass es Manfred Unterweger um Materialismus geht. Aber der Begriff „Materialismus“ ist alles andere als einfach. Einerseits ist da die Materialität der Arbeiten, Asche, Gewürze, Staub, Zementkleber, Wachs..., andererseits meint Materialismus ein bestimmtes Weltbild, hier ist die einseitige Orientierung auf die Wirtschaft und materielle Güter gemeint. Diese beiden Seiten sind die Orientierungspunkte, um sich Unterwegers Werk zu nähern und der Humor verbindet beide Seiten. 

 

Wie sich Form und Inhalt über den Humor miteinander verbinden, lässt sich an der Arbeit „Haarpune“ sehr schön nachvollziehen. Wir sehen einen alten Fön und menschliches Haar. Der Fön mit seinem alten Kabel und Stecker wird, anstatt auf dem Müll zu landen, zum Teil eines Kunstwerks, erfährt eine Aufwertung. Es zeigt sich, wie wertvoll Altes werden kann, es entfaltet eine neue ganz eigene technische Schönheit, die sich nicht mehr mit der Funktion des Haarföns verbindet, sondern für sich steht. Und Haar ist natürlich als Teil eines menschliche Körpers ein ganz besonderer Stoff. Nicht umsonst wurden und werden Haare oft tabuisiert und nicht öffentlich gezeigt. So verbinden sich hier technische und menschliche Schönheit und werden gleichzeitig durch den ironischen Titel „Haarpune“ gebrochen. Der Titel weist auf das Jagdgerät Harpune hin, das zum Fischfang, insbesondere zum Walfang eingesetzt wird. Und der Humor, der zweifellos auch in dem Titel steckt, wird plötzlich zu blutigem Ernst. 

 

Menschliches Haar taucht auch in einer zweiten Arbeit Unterwegers auf. Es ist ein abgeschnittener Zopf. Das Abschneiden des Zopfes wird als Symbol der Entehrung verstanden. Die Arbeit trägt den Titel „Business as usual 2“ und weist auf die zweite Seite des Ausstellungstitels Ma.terialismus hin. Unterweger bezieht sich auf die Praxis in China, hingerichteten Gefangenen Organe zu entnehmen. Bei der Arbeit „Business as usual 1“, die oberflächlich betrachtet nichts mit Menschenrechten, Wirtschaft oder Politik zu tun hat, verbirgt sich diese Dimension in den Teebeuteln. In jedem Beutel chinesischen grünen Tees befindet sich eine Patrone vom Kaliber 9 mm, das Kaliber, mit dem in China Hinrichtungen stattfanden oder immer noch stattfinden. Mit den Menschenrechtsverletzungen in China beschäftigt sich ein ganzer Werkszyklus Unterwegers, der insgesamt den Titel „Brot und Spiele“ trägt. Dabei spielt für ihn das insgesamt vorherrschende Weltbild, das er mit Materialismus benennt, die wesentliche Rolle. Der Mensch ist nicht der Zweck des allgemeinen Handelns, sondern das Mittel, die Wirtschaft, die Güterproduktion voranzutreiben. Marktpositionen sind wichtiger als Menschlichkeit. Menschlichkeit ist das eigentliche Zentrum des Werks von Unterweger. 

 

Sie wird nicht nur in der inhaltlichen Seite der Arbeiten deutlich, sondern bereits bei den verwendeten Materialien. Staub, Asche, Wachs sind keine wertvollen Materialien, sondern wie in der Arte povera arme Materialien. Aber ihre Materialität macht diese so menschlich, sie sind nichts Besonderes, bestehen nicht aus wertvollen Pigmenten oder sind keine edlen Metalle. Für mich ist damit auch die Verbindung zu der christlichen Bestattungsformel „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staube“ verbunden und damit eine fundamentale menschliche Erfahrung. Die menschlichen Dimensionen, die das Werk durchziehen, verhindert, dass die Ironie, der Humor, der in den Arbeiten steckt, oberflächlich wird. Unterweger entwirft einen Strumpftrockner, der die Leichtigkeit des Nylonstrumpfes mit all seinen damit verbundenen Assoziationen in eine gefährliche Nähe zur Heizspirale bringt, die Frage, wer da welches Feuer fängt und vielleicht darin verbrennt, bleibt im ironischen Spiel offen. 

 

Mir persönlich liegt die Arbeit „Living in a box“ sehr am Herzen. Sie basiert auf einer Fotografie aus Nowa Huta, heute ein Stadtteil von Krakau. Nowa Huta, Neue Hütte war einst ein sozialistisches Vorzeigeprojekt und die Arbeit macht deutlich, wie sich mit der Entwertung der industriellen Arbeit Stadtteile verändern und wie Menschlichkeit immer wieder aufs Neue gedeutet werden muss. Dabei ist diese Veränderung nicht auf den einstigen sogenannten Ostblock begrenzt, auch in „unserem Nowa Huta“, dem Ruhrgebiet kann diese Veränderung beobachtet werden. Gleichzeitig könnte das Bild „Living in a box“ auch aus Duisburg stammen und würde auch dann zeigen, wie sich gesellschaftliche Veränderungen im Privatleben auswirken. Gerade hier liegen die Möglichkeiten einer Kunst, verstanden im Sinne von Unterweger. Da liegt das Private und das Gesellschaftliche nah beieinander. Und die Kunst kann mit ihren ästhetischen Mitteln diese zwei Seiten verbinden. Kunst wird individuell erfahren, sie spricht das Individuum sehr direkt an, sowohl auf der emotionalen Ebene als auch auf der intellektuellen. Kunst ist in diesem Sinne der individuelle Blick auf die Gesellschaft, stellt Zusammenhänge zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Individuellen auf sehr spezifische Weise her.

 

Unterweger scheut sich nicht davor, in die Kunst auch die „große Politik“ einzubeziehen und damit das Individuelle zu verschränken. Die Arbeit „Basra Depot 278“ zeigt einen Revolver, das Material, aus dem die Arbeit gefertigt wurde, erzeugt den Eindruck rissiger Erde. Das Depot in der irakischen Stadt Basra war das vermutete Chemiewaffendepot Saddam Husseins mit dem von George W. Bush der zweite Irakkrieg begründet wurde. Gefunden wurden in dem Depot später nur Handfeuerwaffen. Mit diesem Wissen verändert sich die Arbeit, der Materialismus im Sinne der Ästhetik, wie hier Erde, Wachs, alltägliche Materialien, die uns sehr nahe sind, mit einem Revolver, mit dem wir in der Regel wenig direkt zu tun haben, zusammenkommen. Dieser ist einerseits ein Mordinstrument und andererseits westliches oder wildwestliches Freiheitssymbol. Dies Erdige verbindet sich mit dem Symbolischen und dieses wiederum mit dem Politischen. Dadurch ergibt sich die Komplexität der Arbeit, wir können sie ästhetisch erfahren, Material und Form sinnlich wahrnehmen, das wildwestfreiheitliche Symbolische einbeziehen und dieses wiederum mit der geopolitischen Situation verbinden.

 

Stärker direkt auf das Individuum bezogen ohne die gesellschaftliche Dimension aus den Augen zu verlieren, ist die Arbeit „Last statements“. Auf Bitumenstreifen stehen Sätze von in den USA zum Tode Verurteilten kurz vor ihrer Hinrichtung. Manfred Unterweger schreibt zu dieser Arbeit selbst: „In den USA haben die zum Tode verurteilten Delinquenten das Recht, kurz vor ihrer Hinrichtung ein letztes Statement abzugeben. Diese Statements werden veröffentlicht und dokumentieren auf eindrucksvolle und erschütternde Weise, dass bei den meisten der zum Tode verurteilten Häftlinge ihre Taten während ihrer langjährigen Inhaftierung in der Todeszelle ein Umdenkprozess stattfindet.“ Unterweger beschreibt hier seinen Antrieb, solche Arbeiten zu realisieren, als persönliche Erschütterung. Damit sind die Arbeiten wieder beides, sowohl indivduell, denn sie bearbeiten ein persönliches Erleben, als auch gesellschaftlich, denn sie beschäftigen sich mit einem hochpolitischen und umstrittenen Thema, wie auch die Arbeit „Into the blue“, die das Ertrinken der Geflüchteten im Mittelmeer thematisiert.

 

So lässt sich Unterwegers Kunst als individueller, ästhetischer Blick auf das Geschehen in der Welt interpretieren. Aber das Geschehen in der Welt ist nicht nur düster, die Weltsicht, die uns Unterweger vermittelt, ist eben auch eine ästhetische, d.h. den Dingen und der Kunst im Speziellen wohnt trotz aller Düsternis auch so etwas wie Schönheit inne. Erfahrbar wird diese Schönheit direkt über das Material und die verwendeten Gegenstände. Unterstützt wird die Schönheit durch den Humor, der in Unterwegers Werk eine zentrale Rolle spielt. Beispiel dafür kann die eingedoste Hitze in der Hommage an eine der Lieblings-Rockbands „Canned Head“ sein. „Filzgericht“, die Krücke mit dem Rechen oder die Krücke mit dem Boxhandschuh schaffen einen spielerischen Zugang zum Werk. Aber Vorsicht, lassen Sie sich nicht täuschen, der erste Schein kann trügen. So trägt die Krücke mit dem Boxhandschuh den Titel „They never come back“ und weist auf die Regel hin, dass es bei Boxern kein erfolgreiches Comeback geben kann. Aber Muhammad Ali hat diese Regel gebrochen als er nach seiner Gefängnisstrafe für Wehrdienstverweigerung wieder in den Ring stieg. Zur Begründung, warum er nicht in den Vietnamkrieg ziehen wollte, zitierte Ali den Studentenführer und Bürgerrechtler Stokely Carmichael mit den Worten: „Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger“.

 

Und schon sind wir wieder mitten drin in einer hochpolitischen aktuellen Auseinandersetzung. Das Gesellschaftliche und das Persönliche, Humor und Ernst, Schönheit und Häßlichkeit der Welt lassen sich in Unterwegers Werk nicht trennen und sollen auch nicht getrennt werden.“

 

(Peter Schmidt / Zero Arts)

„Auch wer nicht mehr gut zu Fuß ist, kann noch kräftig austeilen. Für solch einen wehrhaften Versehrten hat Manfred Unterweger die passende Gehhilfe erfunden: Unterarmkrücken, deren Spitzen in Boxhandschuhen stecken. Der Künstler weiß seine Bildbotschaften stets geschickt zu pointieren. Der Pinsel, aus dem eine schwarze Mähne herauswallt, schielt mit dem Titel „Extended“ auf die von Friseuren als „Extensions“ bezeichnete Haarverlängerung. Eine mit einer Steckdose verbundene Hängeskulptur aus kaputten und zusammengeknoteten Fahrradschläuchen wiederum wird zum „Sinnlosen Reanimierungsversuch“ erklärt. Unterwegers sympathische Seitenhiebe treffen auch Joseph Beuys: in Gestalt einer Bratpfanne und Herdauflage aus Filz - das „Filzgerichr“.

 

(Georg Leisten / Stuttgarter Zeitung)

„Gesellschaftskritik in ästhetischer Verpackung

 

Starke Signale und Metaphern senden diese erdfarbenen, unfarbigen Objektbilder von Manfred Unterweger in den hellen Raum der ‚Kleinen Galerie‘. Revolversilhouetten, krustige Oberflächen, rätselhafte Materialien vor matten Untergründen, seltsame Gegenstände, ein abgeschnittener Zopf, Menschenhaar oder skurril zusammengestellte Objekte wie ein Boxhandschuh oder ein Rechen als Fußstück einer uralten Holzkrücke bringen beim zweiten Hinsehen einen hintergründigen Humor zum Vorschein, trotz aller ernsten Themen in der neuen Ausstellung ‚M_TERI_LISMUS‘ im Haus am Stadtsee.

(…)

Manfred Unterweger, Nickname „Undi“, 1956 in Stuttgart geboren, gehört zu einer Generation von Künstlern, für die die Auseinandersetzung mit politischen Themen selbstverständlich war und Gesellschaftskritik zur Kunst gehörte. Er arbeitet seit 1975 als Künstler, Texter, Grafikdesigner und Fotograf in Stuttgart. Seit 2003 hat er in Deutschland und in westlichen und östlichen Nachbarländern regelmäßig ausgestellt. Wichtig sei 2009 ein Stipendium für die Biennale für zeitgenössische Kunst in Shiryaevo/Russland und ein Aufenthalt in Nischni Nowgorod gewesen, erzählt Unterweger im Gespräch.

 

Mit Blick auf seine ästhetisch komponierten Objektbilder auf Sperrholz und ihre Themen wie politische Verfolgung, Verurteilung, Hinrichtung, sagt er auch, dass er nach über vier Jahren Beschäftigung damit abschließen musste, weil diese Themen an die Substanz gingen. Hunderte letzter Aussagen von zum Tode Verurteilten in den USA, zu denen diese 5 Minuten Zeit bekommen und die danach publiziert werden, hat er gelesen. Die früheste von 1931 und die letzte von 2009 stehen auf einem Textbild, von Hand in Weiß auf schwarzem Grund geschrieben: diese Aussagen von Menschen kurz vor ihrem Tod lassen einen kaum mehr los.

 

Auch nicht die Materialien der ‚arte povera‘, wie Asche oder gebrauchte, getrocknete Teebeutel in geordneten Reihen, in denen Patronenhülsen aus Messing einen goldenen Schimmer verbreiten, auf einem Hintergrund aus grazilen chinesischen Schriftzeichen auf Zeitungspapier, exakt ausgearbeitet in einer sanften Ästhetik, die das Auge besticht, bevor das Gehirn den grausamen Inhalt erfasst. Aber es gibt daneben auch die an Dada-Kunst oder Readymade erinnernden kuriosen Objekte aus Wohlstandsabfall wie ein uralter Föhn, der flatterndes Frauenhaar ausspuckt oder eine Filzpfanne auf einem Gasherd-Einsatz als Wandbild. Oder ein, wie Unterweger sagt, „schnell gemachtes Bild“ aus schwarzen Klebestreifen, mit weißer Kreide überwischt, die ein Hochhaussilo darstellen, aus dem ein einzelner Mensch heraus guckt. Ist das nicht auch ein düsteres Gefängnis?“

(Dorothee L. Schaefer, Schwäbische Zeitung)

Über meine Arbeit...

„…Manfred Unterweger (Jahrgang 1956) ist in Stuttgart geboren und hier auch als Kunsttäter bekannt, nicht zuletzt als Aktiver in diversen Kunstinstitutionen und Vereinen, wie der Oberwelt und Zero Art. Seit fast 30 Jahren arbeitet er als freier Künstler mit Ausstellungen im In- und Ausland. Seine Prägung kommt vom Konzeptuellen, Materiellen und auch Sozio-Politischen. Er ist ein Homo Politicus, jemand der die Welt aufmerksam beobachtet und den Menschen in seinen Abgründen und Getriebenheiten wahrnimmt und an absurden Fehlgriffen im Zusammenleben leidet. In seiner Kunst findet er Gelegenheit zur Klärung der Angelegenheiten und setzt so spannungsvolle Gegenbilder. Es finden ihn die Themen, z.B. bei Reisen in USA die starken Widersprüche in Anspruch und Leben, zwischen Religiosität und Skrupellosigkeit, zwischen unbegrenzter Möglichkeit und grenzenloser Härte. Auch auf die andere Seite der Welt schaut er: nach China, das in seinen Widersprüchen nicht weniger Anlässe für Kunstäußerungen liefert. So entstand ein Zyklus zu aus politischen Gründen zu Gefängnis oder gar Tod verurteilten Chinesen. Der gefiederte Lautsprecher auf der Schaukel, darunter Patronen und Reis auf dem Boden verstreut, alles in einem antiken Käfig: Diese sinnbildliche Installation zeigt vielfältige ikonographische Verweise. Wie bei seiner Künstlerkollegin sehen wir hier keinen klassischen Maler, auch keinen klassischen Bildhauer. Jedes Werk folgt einer eigenen Gestaltungsidee und einer inneren mit dem Thema eng verflochtenen Logik. Ein forschender Materialprozess geht damit einher. Der Künstler verwendet nicht „einfach Farbe“, weil die Anmutung und Präsentation eine eigene Stimmigkeit benötigt. Er findet eine eigene allegorische Bildsprache, für Werke mit Aussage und Fragestellung, denn er geht in Serien inhaltlicher Ausrichtung vor, bis das Thema ihn wieder freilässt. Zuweilen gibt es dennoch kleine surreale Effekte in der Begegnung von Materialien: Holz, Leder, Metall und erdigen Massen, die es zusammenbinden. Oder zwischen Metall und menschlichem Haar. Die Alltäglichkeit dessen, was man täglich sieht und spürt, ist auf der Bildebene überraschend und anrührend. Zumal es - fragen Sie den Künstler - immer wieder tiefgreifende Geschichten hinter dem Material gibt, welche das Werk zusätzlich mit Bedeutung aufladen.“  

(Wolfgang Neumann, Auszug aus seiner Einführung in die Ausstellung ‚Leaving the frame‘ / Tajana Orlob + Manfred Unterweger (Undi +i); Galerie Wiedmann, Stuttgart)

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